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|30 Mar 2022|Klaus Leopold

Hurra, wir wollen Flight Levels – aber wie wird Veränderung mit Flight Levels gemacht?

Change, Flight Levels, Veränderung
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Die Reaktion vieler Leserinnen meines Buchs „Agilität neu denken“ lautet immer wieder: „Genau so schauts bei uns auch aus.“ Was ist mit „genau so“ gemeint? Es wird oder wurde mit guten Absichten eine agile Transformation gestartet, aber die hat einen Schönheitsfehler: Zwar werden quer durch die Organisation crossfunktionale, multidisziplinäre und natürlich agile Teams gebildet, die aber im Wesentlichen unabgestimmt aneinander vorbeiarbeiten. Das Ganze fühlt sich dann nicht so agil an, wie es sollte.

Die Sache ist, dass es immer Abhängigkeiten zwischen Teams, Produkten, Abteilungen etc. geben wird – daran ändert sich auch nichts, wenn alle plötzlich agil arbeiten. Dann kommt oft noch eines dazu: Strategie und operative Umsetzung sind zwar lose über Jahresvorgaben miteinander verbunden, schlingern aber ansonsten mehr nebeneinander als miteinander durch die raue See der Märkte. Agilität funktioniert nur gut, wenn sie holistisch für das gesamte Unternehmen gedacht wird, und nicht als Summe vieler agiler Inseln. Daraus hat sich das Flight-Levels-Konzept entwickelt: Es ist eine Denkhilfe, um die kommunikativen Gräben zu überbrücken. 

Aber wie starten Unternehmen nur ihre Flight-Levels-Reise? Das habe ich versucht in folgender Illustration zusammenzufassen:

Die Entscheidung für oder gegen Flight Levels treffen

Das Kästchen [Decide about Flight Levels] in der Illustration kommt ganz am Anfang. Jede Flight-Levels-Initiative beginnt mit einer Abwägung: Passt das, was wir in unserem Unternehmen erreichen wollen, mit den möglichen Lösungen des Flight-Levels-Konzepts zusammen? Flight Levels nur einzusetzen, um den nächsten Punkt auf der Methodenliste abzuhaken, sollte nie das Ziel sein. 

Idealerweise entscheidet nicht ein Chef einsam im Elfenbeinturm, sondern es ist ein gemeinsamer Beschluss von Entscheidungsträgerinnen und Sponsorinnen aus dem gesamten Unternehmen. Das ist aber nicht hierarchisch zu verstehen! Es geht darum, Menschen zusammenzubringen, die einen guten Einblick in die verschiedenen Bereiche der Organisation haben. 

Wenn klar ist, dass Flight Levels beim Erreichen der Ziele helfen könnte, wird damit ein iterativer Veränderungsprozess angestoßen. Es werden erste Veränderungsschritte skizziert, die durch ständige Feedbackloops verfeinert und/oder korrigiert werden. 

Die Veränderung starten

Mit Flight Levels zu arbeiten, bedeutet, Veränderung in die Organisation zu bringen – [Operate and Improve the Oganisational Change]. Damit die anfängliche Energie nicht nach wenigen Metern verpufft, sollte es auf Organisationsebene eine Gruppe von Menschen geben, die dem Prozess so gut wie möglich den Weg ebnet. Diese üblicherweise als “Change Team” bezeichnete Gruppe muss kein riesiges Team sein, manchmal genügt dafür schon der Enthusiasmus von zwei Leuten. Da müssen wir das Wording noch ein bisschen nachschärfen, denn “Change Team” klingt für mich doch eher unsexy. However, je nachdem, was geplant ist, kann auch dieses Team klein starten und im Laufe der Zeit wachsen. Mit der Entscheidung für Flight Levels und einem engagierten Change Team am Start, gibt es nun zwei Möglichkeiten für den weiteren Weg.

Möglichkeit 1: Eine Flight-Levels-Systemarchitektur (FLSA) für die Organisation bauen – [Build Flight Levels Systems Architecture]

Schon bei der Entscheidung für Flight Levels ist oft klar, dass diese Veränderung mehrere Bereiche einer Organisation umfassen soll. In diesem Fall ist es schlau, zuerst zu überlegen, um welche Bereiche es sich handelt und wo sich in diesem Gesamtbild die Flight-Level-1-, Flight-Level-2- und Flight-Level-3-Systeme befinden – dieses Bild bezeichnen wir als „Flight-Levels-Systemarchitektur“. Wir bilden die Topologie dieser Systeme ab: Das heißt, wir finden heraus, wie sie miteinander verbunden sind, wie sich Arbeit durch diese Systeme bzw. zwischen diesen Systemen bewegt und welche Entscheidungswege es gibt. Sobald dieser Überblick vorhanden ist, kann auf Organisationsebene wiederum über die nächsten Schritte im Veränderungsprozess entschieden werden.

Möglichkeit 2: Mit einem Flight-Level-2 oder Flight-Level-3-System starten – [Build and Start Flight Level 3 Systems] und [Build and Start Flight Level 3 Systems]

Sehr häufig ist in Unternehmen klar, wo etwas verbessert werden soll, und dann heißt es zum Beispiel: „Wir wollen für Produkt X mit Flight Levels starten“ oder „wir müssen ganz klar unsere strategische Ebene verbessern.“ Mit der Veränderung wird also in einem konkreten Ausschnitt losgelegt bzw. wird dort zunächst einmal ausprobiert, wie es funktionieren könnte. Es kann sinnvoll sein, sofort ein Flight-Level-2-System für diese Produktumgebung zu bauen. Möglicherweise zeigt sich aber auch, dass das größere Problem auf der strategischen Ebene liegt und es wird beschlossen, mit Flight Level 3 zu starten. 

„Ein System zu bauen“ bedeutet, die meist unsichtbare Ablauforganisation in den Mittelpunkt zu stellen und sichtbar zu machen. Wenn ich also sage, dass zum Beispiel ein Flight-Level-3 System oder für Produktumgebung X ein Flight-Level-2-System gebaut wird, dann meine ich eigentlich: Alle Strategieverantwortlichen oder in einer Produktumgebung tätigen Menschen bilden gemeinsam ihre Abläufe und Arbeiten ab und versuchen, einen Kommunikations- und Feedbackkreislauf zu etablieren, um ihre Arbeit zu koordinieren. Sie bringen ihre Erfahrungen mit der Organisation ein und ihr Bewusstsein für die existierenden Probleme. Die Maxime lautet: „Baue nicht etwas für die Leute, sondern mit den Leuten!“ Es gibt also nicht eine auserwählte Personengruppe in der Kommandozentrale, die ein System-Idealbild aufpinselt, dem alle zu folgen haben. Sehr wohl ist es aber sinnvoll, auch für Flight-Level-2 und Flight-Level-3-Systeme Change Teams zu bilden, die sich dafür verantwortlich fühlen, die Systeme zu starten und am Leben zu erhalten.

Es gibt in einer Organisation also mehrere Teams, die sich dem Betreiben und Verbessern der Ablauforganisation mit Hilfe von Flight Levels widmen. Idealerweise sind sie so miteinander verschränkt, dass Repräsentantinnen des Flight-Level-2-Change-Teams auch im Flight-Level-3-Change-Team vertreten sind – schließlich hätten wir ja gerne einen glatten Informationsfluss von der Strategie bis zur Umsetzung.

Flight Levels betreiben und verbessern

Der Bau von Systemen alleine hilft noch nicht viel – man sollte auch damit arbeiten. „Betreiben und verbessern“ bedeutet daher auf jedem Flight Level, sich regelmäßig mit Hilfe von Boards abzustimmen und zu koordinieren (z. B. in Form von Standups und Plannings), die notwendigen Entscheidungen zu treffen und idealerweise in Retrospektiven die Punkte zu identifizieren, die verändert bzw. verbessert werden müssen. In der Überblicksgrafik sind das die Punkte [Operate and Improve Flight Level 2 Systems] und [Operate and Improve Flight Level 3 Systems].

Darüber hinaus ist ein wichtiger Punkt des Flight-Levels-Betriebs aber der Feedback-Loop zur Organisationsebene. Es kann sich auf Flight Level 2 bei Produkten herausstellen, dass die Aufstellung nicht optimal ist, dass mehr Wissen aus einem bestimmten Bereich benötigt wird oder dass eine noch intensivere Zusammenarbeit mit einem anderen Produkt gebraucht wird, weil es starke Abhängigkeiten gibt. Alles, was dort verändert wird, wirkt sich auf die gesamte Organisation aus. Genauso wirken sich Veränderungen auf Flight Level 3 auf die gesamte Organisation aus. Übergeordnete Fragen oder Probleme werden daher an das Change Team zurückgetragen, das vielleicht wirksamere Weichenstellungen vornehmen kann. 

Die grundlegende Idee der Flight Levels ist es, Veränderung im Gehen zu gestalten. Während verschiedene agile Skalierungsframeworks mit vorgefertigten Strukturen arbeiten, sind Flight Levels eher die Lego-Variante: Anhand laufender Erkenntnisse wird immer weiter die passende Ablauforganisation gestaltet. Es gibt gewisse Bausteine, die situationselastisch ausgewählt werden können, doch Vorschriften gibt es hier nicht. Du bist der/die Pilot*in der Veränderung und gestaltest selbst. 


Michael Schächtele
14 Apr 2022 14:52

Hallo Klaus, das ist eine sehr prägnante Beschreibung. Ich werde sie mal im Unternehmen verteilen und freue mich immer wieder über Euere Newsletter. Das Thema ist bei uns immer mehr aktuell. Leider hat sich die Anwendergemeinde nicht so stark entwicklet wie wir mal dachten. Inzwischen trage ich die Gedanken der FLs weiter und nutze als Digitalisierungsarchitekt das Instrument/die Methode FLs mit Prozessen und einer technisch-sozio-oekonomischen System Modellierung eines Unternehmens weiter. Vielleicht ergibt sich mal wieder eine Gelegenheit des Austausches. Gruß aus Reutlingen/Loretto

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