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|10 Feb 2019|Klaus Leopold

Crossfunktionalität ist keine Sache der Teamaufstellung

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Seit mein neues Buch Agilität neu denken erschienen ist, posten Leserinnen und Leser immer wieder Auszüge daraus. Mir ist aufgefallen, dass vor allem das Thema Crossfunktionalität bei vielen einen Nerv trifft. Crossfunktionale Teams gehören nämlich – ähnlich wie das Spotify-Modell – zum Inventar des agilen Reliquienschreins: Ihre Existenz wird meistens unreflektiert angebetet, doch oft sind sie nichts anderes als Silos, deren Wände neu gestrichen wurden. Ich bin der Meinung: Echte Crossfunktionalität entsteht nicht dadurch, dass man einfach Menschen aus unterschiedlichen Disziplinen in einem Team zusammenwürfelt. Für alle, die Agilität neu denken noch nicht gelesen haben: Hier ist der Abschnitt aus dem Buch, der sich damit beschäftigt.

Crossfunktionalität ist keine Sache der Teamaufstellung

Klingt alles ganz romantisch, oder? Tatsache ist, dass es sich hier um einen riesigen Change handelt. Denn warum sollten die Fachbereiche einfach so mitmachen? Die Abgrenzung zwischen „wir“ und „die“ ist ein grundlegendes, historisch gewachsenes Problem in den meisten Organisationen, egal welcher Art. Das liegt an den spezialisierten Splittergruppen, die sich bezeichnenderweise oft in Abteilungen organisieren: Sie teilen sich voneinander und vom Ganzen ab. Anforderungen und Ergebnisse werden in der Regel an andere Einheiten „übergeben“ (quasi hinübergekotzt), deren Sichtweisen und Ansprüche womöglich ganz andere sind als die der eigenen Abteilung. Für die Produktentwicklung sind die Fachbereiche ein rotes Tuch, Softwareentwickler sind was Besseres als Softwaretester, die Fachbereiche betrachten alle anderen ohnehin als Lieferanten und so weiter und so weiter.

Durch den Versuch, ein Unternehmen zu agilisieren, wird das nicht zwangsläufig besser. Crossfunktionale Teams sind super und wichtig. Es bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass alte Muster verschwinden. Nun hat man halt das crossfunktionale Team A, das besser performt als das crossfunktionale Team B. Statt funktionaler Silos hat man jetzt crossfunktionale Silos. Gratulation! Reduziert man die Abhängigkeiten und fasst Teams zu Produkten zusammen, ist Produkt Y natürlich blöder als Produkt Z. Und aus der Sicht des Portfolios betrachtet, sitzen an der Spitze ohnehin nur Volltrottel. Mit Boni kann man die Animositäten wunderbar zementieren oder sogar verschärfen. Dadurch werden lediglich Einzelteile einer Organisation optimiert, nicht aber die Wertgenerierung für den Kunden.

Dieses Gegeneinander muss erst überwunden werden, und es funktioniert sicher nicht so easy, wie ich das anhand dieses Unternehmens dargestellt habe. Es ist ein kultureller Prozess, der schon im Recruitment beginnt: „Don’t hire skills, hire attitude“ sollte man als Maxime fordern. Klar, fachliche Expertise ist wichtig, aber es ist viel leichter, sich fachliche Kompetenzen anzueignen, als eine Einstellung zu verändern. Crossfunktionale Teams sind keineswegs der heilige Gral der Agilität, durch den auf magische Weise alle sozialen Reibungspunkte zwischen den Leistungseinheiten eines Wertstroms verschwinden – sie verlagern sich manchmal fürs Erste nur. Verschiedene Denkansätze in einem Team zusammenzuführen, ist jedoch zumindest schon einmal besser als der Fokus auf Einzelleistungen bzw. auf die einzelne Leistung in einzelnen Spezialistensilos. Im Sinne der kundenorientierten, integrierten Wertgenerierung ist es nur ein sehr kleiner Tropfen auf einem sehr heißen Stein.

Crossfunktionalität ist eine Unternehmensmentalität und keine Organisationsaufstellung für Teams. Es geht darum, eine Umgebung zu schaffen, in der es in Ordnung und sogar gewünscht ist, lokal schlechte Performance zu liefern, wenn es der Gesamtperformance der Organisation nützt. Es reicht also nicht aus, wenn alle Mitarbeiter am selben Seil ziehen – sie müssen auch in dieselbe Richtung ziehen.

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