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|22 Jan 2018|Klaus Leopold

Silvester und die optimale Arbeitsmenge

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In Österreich hat man Pech, wenn ein Tag wie der 31. Dezember auf einen Sonntag fällt. Sonntags sind in Österreich nämlich die Lebensmittelgeschäfte geschlossen – mit wenigen Ausnahmen. Diese Ausnahmen sind schon an normalen Sonntagen überfüllt. Am 31.12. stauen sich dort natürlich all jene Leute, die nicht rechtzeitig alles für den Silvesterabend und den darauffolgenden Feiertag eingekauft haben. Und so habe auch ich am Nachmittag vor dem einzigen Billa in der Umgebung mitgestaut, der am Silvester-Sonntag geöffnet hatte. Unverhoffterweise wurde dieser Stau für mich aber zu einem Heureka-Moment mitten im Feiertagswahnsinn. Denn ich stand vor dem Geschäft im Stau.

Überlegen wir einmal kurz: Wenn man an einem solchen Tag unkontrolliert alle lachshungrigen, sektdurstigen und baguettesuchenden Menschen in das Geschäft reinlassen würde – was würde passieren? Alle hätten ein mehr als bescheidenes Einkaufserlebnis. Niemand könnte sich richtig vorwärts bewegen, man wird geschubst und gestoßen und möglicherweise würde man gar nicht bekommen, was man braucht, weil das Personal die Regale nicht rechtzeitig nachfüllen könnte und Lieferanten nicht durchkämen. Vielleicht würde man auch gar nicht erst versuchen, alles zu bekommen, weil man so schnell wie möglich wieder hinaus will. Es würde dennoch für jene, die nicht ganz am Anfang dieser Welle ins Geschäft geschwappt wurden, ewig dauern, bis sie wieder aus dem Geschäft draußen wären – und dann vielleicht auch nicht mit allem, was sie eigentlich kaufen wollten.

Beim Anblick einer hysterischen Masse würden außerdem einige, die das Glück haben, sich noch außerhalb des Geschäfts zu befinden, am Absatz kehrt machen und sich dieses Chaos gar nicht antun. Dem Geschäft würde also Geschäft entgehen und insgesamt wäre es für Kunden wie Angestellte nichts anderes als Stress zum Quadrat. In meinen Beratungsalltag übertragen, sehe ich etwas Ähnliches jeden Tag in den unterschiedlichsten Unternehmen: Vor allem in der Wissensarbeit machen viele Unternehmen die Schleusen nie zu, weil noch immer die Meinung herrscht, dass Menschen zu 100 Prozent ausgelastet sein müssen. Dadurch bleibt aber vieles auf der Strecke, was die Qualität der Arbeit und den Wert für den Kunden ausmacht.

Werden unkontrolliert Menschen in ein Geschäft gepresst, kann das nicht gutgehen. Und genauso wird nicht mehr Arbeit fertig und schon gar nicht wird sie schneller fertig, wenn man immer mehr davon mit Gewalt in ein Arbeitssystem reinpresst.

Zuflussregulierung à la Billa

Ähnliche Gedanken hatten sich scheinbar auch die Filialverantwortlichen von Billa gemacht. Sie hatten vor dem Haupteingang Security postiert, die jeweils auf ein „Genug“-Signal hin die Rollläden runterließ. Erst wenn durch den Seiteneingang wieder genügend Kunden das Geschäft verlassen hatten, erhielt die nächste Gruppe Zutritt. Durch diesen simplen Regulierungsmechanismus konnten die Menschen im Geschäft in Ruhe und doch zügig einkaufen und das System brach nicht zusammen, weil die Waren immer rechtzeitig nachgefüllt werden konnten. Die Menschen vor dem Geschäft sahen, dass sich in regelmäßigen Abständen die Schlange weiterbewegte. So konnte jeder noch immer entscheiden, ob er warten wollte oder nicht. Wer ins Geschäft wollte, konnte allerdings einschätzen, wie lange es brauchen würde. Billa hat also den Durchfluss optimiert und ich gehe davon aus, dass Billa dadurch wesentlich mehr verdient hat, als wenn diese Maßnahme nicht ergriffen worden wäre.

So sollten wir auch unsere Arbeitssysteme betreiben. Wir sollten uns überlegen: Was ist die optimale Arbeitsmenge in unserem System? „Optimal“ bedeutet, gut ausgelastet zu sein, aber dennoch „bewegt“ sich die Arbeit weiter und wir haben genügend Raum, um Probleme zu adressieren, wenn sie auftreten. Durch die Beschränkung wird vorhersehbarer, wann Arbeiten abgeschlossen sein werden und die nächsten an die Reihe kommen. Daher sollten wir nur so viel Arbeit starten, wie es das System im Sinne dieses Gleichgewichts verträgt, und alle neu ankommenden Arbeiten müssen erst einmal vor dem System warten. Deshalb gefällt mir übrigens auch die alternative Bezeichnung, die Prateek Singh für das WiP-Limit gefunden hat: „Optimal Operating Capacity“ oder sollen wir einfach „Optimale Arbeitsmenge im System“ (OAS) sagen?

Ingo Kraus
23 Jan 2018 12:37

Tolles Beispiel ?
Es ist aber auch echt blöd, dass diese Feiertage immer so überraschend auftauchen ?

Klaus Leopold
23 Jan 2018 14:07

Ja, das ist echt katastrophal und völlig unplanbar! 🙂

Volker Gutberlet
23 Jan 2018 17:46

Hallo Klaus,
ich kann mich Ingo nur anschließen: tolles Beispiel, mit dem man das Problem des “Zuschütten” von Teams schön anschaulich darstellen kann. Auch der Begriff der “Optimalen Arbeitsmenge im System” gefällt mir. Da lag ich ja mit meinem Vorschlag “WIP-Optimum” als Alternative zum “WIP-Limit” unter Deinem Blog-Eintrag “WIP-Limits müssen sterben” gar nicht so daneben 🙂
Viele Grüße
Volker

Klaus Leopold
25 Jan 2018 14:33

Stimmt! WIP-Optimum ist echt sehr nahe!! 🙂

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