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|13 Jun 2012|System User

Emotionen im Veränderungsprozess

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Wie bereits im Blog-Artikel “Muss ich das? Kann ich das? Will ich das?” erwähnt, ist organisatorische Veränderung untrennbar mit persönlichen Emotionen verbunden. Diese Emotionen dürfen als das Lebenselixier jeder Veränderung angesehen werden. Sie energetisieren, sie stiften Sinn, sie treiben an. In unserem Buch Kanban in der IT haben Sigi Kaltenecker und ich ein ganzes Kapitel den Emotionen im Veränderungsprozess gewidmet. In diesem Blog-Artikel werde ich einen kleinen Einblick in das doch sehr große Thema geben.

Das Beratungsduo Barbara Heitger und Alexander Doujak haben in ihrem Buch „Die Logik der Gefühle und die Macht der Zahlen“ vier Kategorien von Gefühlen beschrieben, die in Veränderungsprozessen typischerweise auftreten:

  • Unsicherheit, Sorge, Angst kommen vor allem in der ersten Phase der Veränderungskurve vor.
  • Ärger und Aggression bestimmen die zweite Phase eines idealtypischen Veränderungsverlaufs.
  • Trauer und Enttäuschung kennzeichnen die Phase der „emotionalen Akzeptanz“.
  • Aufbruchstimmung, Freude und Mut gehen in Change-Prozessen mit Erkenntnis, intensiver Übung und Integration ein.

Unsicherheit, Sorge, Angst

In der Praxis treten solche Gefühle weder sauber sortiert noch in Reinkultur auf. Was Unsicherheit, was Sorge und was bereits Angst ist, lässt sich im Alltag meist nicht exakt feststellen. Zudem verbergen sich diese Gefühle oft. Da Unsicherheit oder Angst verletzlich machen, werden diese Gefühle – gerade von Männern – gerne in der rauen Schale der Aggression präsentiert. Auf der anderen Seite verbergen sich die Gefühle schlicht und ergreifend dadurch, dass sie zurückgehalten werden. Neben Kampf und Aggression sind Flucht und Ignoranz ebenso bewährte Formen, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen.

Der amerikanische Organisationswissenschaftler Edgar H. Schein hat in seinem Buch “Organizational Culture and Leadership” gezeigt, dass in Veränderungsprojekten vor allem zwei Formen der Angst auftreten: Existenzangst und Lernangst. Beide Ängste entspringen ganz unterschiedlichen Quellen.

So geht es bei der Existenzangst um

  • drohenden Statusverlust: „Morgen bin ich keine Führungskraft mehr!“,
  • die Entwertung der eigenen Expertise: „Morgen zählt meine ganze Erfahrung als Projektleiter nichts mehr!“,
  • die drohende Auflösung der vertrauten Umgebung: „Morgen arbeite ich in einem völlig neuen Team“.

Beim Lernen werden Ängste wiederum sowohl durch den nötigen Erwerb neuer Skills oder Wissensbereiche als auch durch das ebenso notwendige Verlernen des Alten wachgerufen. Etwa Ängste

  • vor vorübergehender oder dauerhafter Inkompetenz: „Ich kann das einfach nicht!“,
  • aufgrund der Inkompetenz Bestrafungen oder zumindest Benachteiligungen erwarten zu müssen: „Wenn ich das nicht schaffe, verliere ich meine Position!“,
  • einen persönlichen Identitätsverlust zu erleiden: „Ich war mein Leben lang Entwicklungsspezialist, wieso muss ich plötzlich auch analysieren oder testen?“,
  • nicht mehr Mitglied einer bestimmten Gruppe oder Community zu sein: „Was, wenn ich in meinem Spezialgebiet plötzlich den Anschluss an meine Kollegen verliere?“

Demnach ist es wichtig festzuhalten, dass es in Veränderungsprozessen nicht nur um das Lernen von Neuem geht sondern auch um das Verlernen von Altem.

Ärger und Aggression

Vor Bedrohungen kann man bekanntlich nicht nur fliehen – man kann sich ihnen ebenso stellen und sie bekämpfen. Ärger und Aggression sind probate Mittel dazu. Wenn im Rahmen von Informationsveranstaltungen lautstarke Buhrufe ertönen, wenn der Teamleiterin im Jour Fixe Verrat vorgeworfen wird oder wenn in der Kaffeeküche nur noch über „die da oben“ geschimpft wird, sind wir schon mitten im Thema. Es geht darum, Grenzen zu setzen. Die eigene Identität muss behauptet und Bedrohliches selbstbewusst in Schach gehalten werden. Ärger und Aggression haben eine wichtige Funktion im Rahmen tiefgreifender Veränderungsprozesse, die es anzunehmen und auszuhalten gilt. Dampf muss abgelassen werden, um Platz für Neues zu schaffen. Gewitter haben bekanntlich eine reinigende Funktion – vorausgesetzt, man sorgt für gute Blitzableiter, nicht zuletzt in Form professioneller Unterstützung durch erfahrene Change-Moderatoren.

Trauer und Enttäuschung

Trauer hilft, bestimmte Dinge los und hinter sich zu lassen. Bevor wir uns der Zukunft öffnen können, ist unsere Gegenwart von unterschiedlich eingefärbten Erinnerungsbildern dominiert. Auch diese Trauerbilder müssen, ähnlich wie Ärger oder Aggression, geäußert werden dürfen.

Aufbruchstimmung, Freude und Mut

Werden negativ erlebte Gefühle wie Angst, Ärger oder Trauer gut verarbeitet, ist wieder Platz für Positives. Dem wirklichen Loslassen folgt die oft überraschende Öffnung für die Veränderung. Die Energie kann sich nun auf das Lernen richten, auf das Einüben verbesserter Abläufe und die Integration modifizierter Arbeitsweisen. Alte Stärken werden in neuen Zusammenhängen abrufbar, das Bewährte tritt in anderer Gestalt auf. Es kommt zu einer wirklichen Versöhnung, zu einem Brückenschlag zwischen Gestern, Heute und Morgen.

Und jetzt?

Um Veränderungen auf Schiene zu bringen, ist es unerlässlich, diese Emotionen richtig zu verstehen. Erst eine profunde Kenntnis der unterschiedlichen Formen, Dynamiken und Funktionen von Emotionen bildet die Grundlage für ein erfolgversprechendes Change Management. Man hüte sich jedoch vor Steuerungsillusionen. Emotionen treten weder in einheitlicher Form noch gleichzeitig auf. Sie benötigen unterschiedlich viel Zeit, Raum und Aufmerksamkeit. Sie sind nicht berechenbar. Und es gibt auch keine zauberhafte Lösungsformel, die alle emotionalen Herausforderungen beseitigt. Trotzdem kann sich das Change Management die Auseinandersetzung mit Emotionen nicht ersparen. Denn ohne emotionale Mobilisierung kommt keine Veränderungsinitiative voran.

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